Angst vor den Babyboomern

Wirst du in den Social Media Boomer genannt, ist das als Schimpfwort zu verstehen. Ein Boomer ist alt, konservativ, aus der Zeit gefallen. Boomer, das sind die, die unser Land aufgebaut und geprägt haben, die Geburtsjahrgänge ca. von 1946 bis 1964. „Politik hat Angst vor den Boomern“, sagt jetzt Johannes Winkel. Der ist Chef der Jungen Union, neu im Bundestag und ganze 33 Jahre jung. Wenn Politik Angst vor einem Problem hat, haben wir Angst vor der Politik, lieber Johannes Winkel!

Die Boomer, die dem Unions-Youngster Angst machen, gehen in Rente: bis Ende 2022 waren es rund 3,1 Millionen, in diesem Jahr und in Folgejahren werden es jeweils über eine Million sein. Schon in fünf Jahren werden 1,5 Beitragszahler einen Rentner ernähren müssen! Was das heißt, ist bekannt: Unser Rentensystem ist komatös, es hängt am Tropf. Der Steuerzahler hat brav eingezahlt, die Bundesregierungen haben ihren Job nicht gemacht, sie haben’s vergeigt. Als wäre die Entwicklung demographisch nicht absehbar gewesen.

Wenn Winkel im Interview mit „Politico“ jetzt seine Angst vor den Boomern ausdrückt, muss man ihm zurufen: Politik ist nichts für Angsthasen, Politik heißt: „Hinsetzen, machen!“

Wie „Hans guck in die Luft“ haben die letzten Bundesregierungen die absehbare Renten-Todesfalle verdrängt, seit CDU-Sozialminister Norbert Blüm 1986 dem Wähler vorgaukelte: „Denn eins ist sicher: die Rente“. Als er den Satz 1997 im Bundestag wiederholte, durfte man es schon als faustdicke Lüge ansehen. Und damals gab es noch keine offenen Grenzen mit Millionen Migranten, die das System zusätzlich belasten.

Ja, räumt Winkel ein, alle Parteien, also auch die Union, seien schuld. So weit, so bekannt. Doch was er nicht sagt: was die CDU tun wird, um den Rentenknoten zu lösen. Wenn eine Regierung zu dem Schluss kommt, dass das Rentensystem nicht mehr zu retten ist, erfordert dies den Übergang zu einer neuen Rentenordnung. Es braucht eine tiefgreifende Analyse und einen mutigen Übergang zu einem neuen, zukunftssicheren System.

Damit müsste man über die Legislaturperiode hinausdenken. Und, viel wichtiger für die Bundesregierung: Die unvermeidlichen Einschnitte, die zwingend kommen müssten, gefährden die Wiederwahl. Das, Herr Winkel, ist doch das, wovor „Politik Angst hat“. Was Gerhard Schröder mit seiner „Agenda 2010“ erlebte, meidet die CDU wie der Teufel das Weihwasser.

Johannes Winkel sagt deshalb nichts über kapitalgedeckte Altersvorsorge, nichts über Mindestrenten oder Punktesysteme, nichts über deutlich funktionellere Rentensysteme wie in Dänemark, Norwegen, den Niederlanden und Österreich.

Das einzige was Winkel einfällt, ist, die Mütterrente zu streichen und damit den Respekt vor Erziehungsleistungen zu verweigern. Die Mütterrente sei eine Rentenreform „zulasten der jungen Generation“, deshalb sei sie „keine gute Idee“. Die Streichung der Mütterrente löst das Rentenproblem nicht, das ist gewiss.

Keine Rücksicht auf Mütter, Angst vor dem Boomer, das ist kein Rezept für die Zukunft, das ist eine Fortschreibung der Versagenskurve. Die Bundesregierung muss die Rente neu aufstellen – oder es droht der GAU, und dazu gehört wohl auch die Option, dass der Wähler Nichtstun abstrafen wird.

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